4. Tag
Wir erleben Kappadokien hautnah. 9.30 Uhr fahren wir in das Meskavier-Tal. Etwa zwei Stunden wandern wir hier. Was wir aus dem Ballon gesehen hatten, sehen wir jetzt in einem Ausschnitt im Tal. Es ist einmalig! Man kann sogar die eingeschlagenen kleinen Löcher sehen, die als „Leiter“ für den Zugang in die Behausung führten.
Diese wunderschöne Landschaft verdanken wir en einst aktiven Vulkanen Erciyes Dagi und Hasan Dagi, von denen weite Flächen mit Tuff bedeckt wurden, bevor stellenweise härtere und damit beständigere Basaltlava hinzukam. Wind und Wetter bildeten mit ihrer Erosionskraft schließlich unzählige Schluchten.
Nach der Wanderung fahren wir zur altgriechischen Siedlung Cavusin. Hier lädt uns Güner zu einem wohlschmeckenden Granatapfeltee ein. Die Felsensiedlung wird auch „Schweizer Käse“ genannt. Es ist schon bemerkenswert, wie die Dorfbewohner die Felsen für ihre Bauten nutzen. Unser Mittagessen haben wir in einer Buffet-Form. Es ist reichhaltig, vielfältig: Gemüse, Obst, verschiedene Fleisch- und Käsesorten, Beilagen und Süßspeisen sowie diverse Törtchen. Alle sind begeistert.
Das nächste Ziel ist das Freilichtmuseum in Göreme. Das Freilichtmuseum weist vom 4. Jh. n. Chr. bis zum 13. Jh. n. Chr. ein sehr verbreitetes Klosterleben auf. Die Kirchenwände wurden in zwei unterschiedlichen Formen bemalt. Auf die geglättete Felsoberfläche wurde gemalt oder es wurde eine Freskentechnik angewandt .Wir sind von den Bildern beeindruckt.
Die zahllosen Kirchen in der Region Kappadokien reichen von einfachsten, komplett schmucklosen Räumen in den unterirdischen Städten über Kreuzkuppelkirchen bis zur dreischiffigen Basilika. An der Ausgestaltung der Malereien kann bis zu einem gewissen Grad die Entstehungszeit der Kirchen abgelesen werden. Während die einfachen Kirchenräume in den unterirdischen Städten ohne jede Bemalung sind, zeigen die ersten oberirdisch geschaffenen Kirchen noch einfache figürliche Fresken. Die ersten Beschreibungen der kappadokischen Höhlen stammen aus dem Jahr 402 v. Chr..
Im neunten Jahrhundert wurde der Bilderstreit beendet, und die von da an entstandenen Bauwerke wurden mit immer prächtigeren Fresken ausgestattet. Dabei wurden auch die älteren Kirchen zum großen Teil übermalt. An der Ausgestaltung der Malereien kann bis zu einem gewissen Grad die Entstehungszeit der Kirchen abgelesen werden. Während die einfachen Kirchenräume in den unterirdischen Städten ohne jede Bemalung sind, zeigen die ersten oberirdisch geschaffenen Kirchen noch einfache figürliche Fresken. Spätere Kirchen weisen nur schlichte geometrische Ornamente wie Kreuze, Zickzacklinien, Rauten oder Rosetten auf, die mit roter Farbe auf den Fels aufgetragen sind. Diese stammen aus dem achten und dem beginnenden neunten Jahrhundert, aus der Zeit des byzantinischen Bilderstreits.
In den Jahren 726 und 730 erließ Kaiser Leo III. zwei Edikte – das erste zur Entfernung, das zweite zur Vernichtung aller Bilder Christi, Marias und der Heiligen. Seitdem traten sich die Ikonodulen (Bilderfreunde) und Ikonoklasten (Bilderfeinde) in wilden Verschwörungen gegenüber. Es kam zu Verhaftungen, Auspeitschungen, Kerkerstrafen, Verbannungen und sogar Morden.
Bildmagie: Der gesamte Orient glaubte seit urältesten Zeiten an die Zaubermacht heiliger Bilder. Auch die Römer geleiteten das Bild des Kaisers, das sie nach seiner Thronbesteigung in die Provinzen sandten, mit Weihrauch und Kerzen an den Sitz des Höchsten Beamten; es war ihnen Lebensträger. Weihrauch und Kuss wurden seit dem 6. Jh. auch den Bildern Christi und den Heiligen zuteil. Vor allem erwarteten die Leute aus dem Volk von den Bildern wunderbare Lebensäußerungen.
Bildfreude: Byzanz war ein Reich der Griechen, die immer tiefste Freude an der anschaulichen Darstellung alles Seienden hatten, angefangen bei den Meistern der archaischen Plastik über Platon bis zu der in Athen geborenen Kaiserin Irene.
Bildhass: Aber Byzanz beherbergte auch viele Juden und grenzte an das Reich der Araber. Jüdische, islamische und christliche Bilderfeindschaft kam aus dem Wissen um die Bildlosigkeit Gottes und aus dem Zorn um seine Vermenschlichung und Verdinglichung. Die jüdischen Anhänger des neuen Glaubens fühlten sich dem alttestamentlichen Bilderverbot verpflichtet. Auch Paulus grenzte sich entschieden gegen die kunstfreudigen Griechen ab. Tertullian (160-222) war der Ansicht, der Teufel habe Bildhauer, Maler und Verfertiger von Bildnissen in die Welt gesetzt, und forderte von den zum Christentum übertretenden Künstlern den Berufswechsel.
Bildpädagogik: Papst Gregor I. (590-604) urteilte römisch-vernünftig, Bilder seien nützlich im Dienst der christlichen Aufklärung, besonders bei den des Lesens Unkundigen. Diese Auffassung wurde in der westlichen Kirche maßgebend. Auch Bonaventura fand im 13. Jahrhundert die Bildkunst aus drei Gründen zweckmäßig: für die Unterrichtung der Einfältigen, zur Anregung des Gefühls und als Stütze des Gedächtnisses.
Erst 843 entschied ein Konzil zugunsten der Bilderfreunde.
Am Nachmittag haben wir das Glück, die tanzenden Derwische in einer Vorführung zu sehen. „Die Anhänger (Derwische) des Mevlevi-Ordens werden auch als die tanzenden oder drehenden Derwische bezeichnet, weil ihr „Tanz“ (türkisch: Sema) darin besteht, durch kreisende Bewegungen in Ekstase zu gelangen. "Für die Derwische handelt es sich um eine Form des Gebets“.
Die volle persische Übersetzung für Derwisch (persisch دَرْوِیش darwīsch) ist „Bettler“. Dabei ist es aber nicht unbedingt wörtlich zu nehmen, dass jeder Sufi ein Bettler sei; sondern dieser Begriff dient auch als Symbol dafür, dass derjenige, der sich auf dem Weg des Sufismus befindet, seine eigene „Armut gegenüber Gottes Reichtum“ erkennt. Der Begriff Derwisch leitet sich her vom persischen Wort dar („Tor“, „Tür“), ein Sinnbild dafür, dass der Bettler von Tür(schwelle) zu Tür(schwelle) wandert. In der sufistischen Symbolik bedeutet dies auch die Schwelle zwischen dem Erkennen der diesseitigen irdischen (materiellen, siehe auch dunya) und der jenseitigen göttlichen Welt.
Bezeichnend für die Suche nach Gott ist der berühmte Tanz der Derwische, auch Sema-Zeremonie genannt. Sema lässt sich mit "beim Hören von Melodien in Verzückung geraten und sich, das Selbst vergessend, zu drehen" übersetzen. Damit werden die Schöpfung und das Streben des Menschen zur Vollkommenheit symbolisch ausgedrückt. Der bis zu 45 Minuten andauernde ekstatische Tanz fand erst nach Mevlânâs Tod durch die Mevlevi seinen eigentlichen Platz als zentrale Ausdrucksform ihres Glaubens, indem sie ihn in ihre religiösen Rezitationsgesänge einbauten. Ekstatischer Tanz bildet Brücke zwischen Gott und Mensch.
Der Sema-Tanz gehört zu einem symbolischen Ganzen. Der Scheich symbolisiert in der Darbietung die alles erhellende Sonne, die tanzenden Semazen übernehmen die Rolle der Sterne und Planeten, die um die Sonne kreisen. Um ihr irdisches Dasein zu unterstreichen, tragen die Derwische zu Beginn des Tanzes schwarze Umhänge, die sie während der rituellen Darbietung symbolisch abwerfen. Das weiße Gewand, das sie darunter tragen, symbolisiert den Himmel, das göttliche Universum und die Psyche. Beim Tanzen drehen sich die Semazen ekstatisch in einem großen Kreis und um sich selbst. So entsteht ein sich drehendes Sternenbild. Sie richten eine Hand gen Himmel, die das göttliche Licht empfängt, die andere Hand zeigt gen Boden, um das empfangene Licht an die Erde weiterzuleiten. So bilden sie eine Brücke zwischen Gott und den Menschen. Immer stärker tanzen sich die Derwische dabei in Ekstase, bis sie schließlich in sich "zusammensacken" - dem symbolischen Tod des Körperlichen und dem Einswerden mit Gott. Dieser ekstatische Tanz bildet Brücke zwischen Gott und Mensch.
Mich hat der Tanz im tiefsten Inneren berührt. Der Mevlevi-Sema wurde im Jahre 2005 in die UNESCO-Liste der Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbe der Menschheit aufgenommen.