20. Tag:
Reisen ist eine Symphonie der Sinne. (Autor unbekannt)
Até a vista – bis bald, Rio. Mit diesen Worten haben wir uns 2016 von dieser farbenfrohen, chaotischen und trotz aller Armut lebensfrohen Stadt verabschiedet, ohne zu ahnen, dass wir tatsächlich wiederkommen würden. Heute ist es soweit: der Zuckerhut, die Christus-Statue und die Copacabana warten auf uns. „Leider“ einen Tag zu früh, morgen hat meine Mutter einen runden Geburtstag. Das wäre es gewesen! Geburtstag in Rio. Schade, aber nicht zu ändern.
Frühmorgens werden wir vom Wecker aus unseren Träumen gerissen. Auch wenn 6.30 Uhr sehr früh ist und wir es schon einmal erleben durften: die atemberaubende Hafeneinfahrt wollen wir auf keinen Fall verpassen. Zuckerhut und Christus-Statue hüllen sich in dichten Nebel. Doch da, plötzlich reißt die Nebelwand ein winziges Stückchen auf. Wir sehen die Statue! Der Augenblick währt zunächst noch kurz, nur zögernd gibt sich das Wahrzeichen der Stadt unseren Blicken preis. Viel schöner, als bei klarer Sicht. Die Statue scheint über der Stadt zu schweben. Den Zuckerhut sehen wir in seiner ganzen Pracht. Das frühe Aufstehen hat sich gelohnt.
Das Frühstück haben wir auf die Kabine bestellt. Leider ist das Angebot mehr als mager, hatte ich ja schon geschrieben. Dieses Mal gab es nicht einmal den angeforderten Tee. Deshalb bin ich runter auf Deck 8 zum Market-Place und habe unser Frühstück dort selber geholt.
2016 hatten wir mit unserem privaten Guide Winnie, den wir über Frank Hopfe gebucht hatten, einen wunderschönen und unvergesslichen Tag. Und so haben wir uns erneut an Frank Hopfe gewandt. Leider lebt Winnie nicht mehr in Rio und Frank hat schon andere Termine. Aber er besorgt uns einen deutschsprachigen Guide, der uns am Kreuzfahrt-Terminal in Empfang nehmen wird.
Heute sind wir entspannter, beim letzten Mal dachten wir, der Terminal ist riesig, aber nein, er war übersichtlich und wir kamen zügig ins Freie. Tja, denken ist grundsätzlich nicht schlecht, aber die Wirklichkeit sieht heute anders aus. Zunächst kommen wir nicht einmal vom Schiff, obwohl wir seit 7.00 Uhr im Hafen liegen. Es ist 8.50 Uhr, 9.00 Uhr ist ausgemacht und es darf keiner vom und aufs Schiff. Warum das so ist, wird uns nicht erklärt. Gute zehn Minuten später ist es soweit. Doch statt eines Terminals gibt es nun drei und wir müssen an den ersten zwei in sengender Hitze vorbei zum dritten laufen. Endlich sind wir draußen und sehen schon das Discover-Rio-Schild. Mit Frank! Wir freuen uns und denken, er geht mit uns auf Tour. Aber nein, er holt eine andere Reisegruppe ab. Unser Guide für heute heißt Simon und sucht noch einen Parkplatz. Trotzdem ist es schön, Frank persönlich kennen zu lernen. Und da kommt auch schon Simon. Witzig, er ist auch aus dem Schwabenländle, wie wir, und wir verstehen uns auf Anhieb.
So spektakulär die Christus-Statue und der Zuckerhut sind, wir wollen etwas Neues von Rio sehen. Nachdem wir aber sehr unschlüssig waren, hat uns Frank Hopfe ein interessantes Programm zusammengestellt. Unser erstes Ziel ist Santa Teresa, das hügelige Künstlerviertel über dem Zentrum Rios. Idyllische Gärten und Villen aus der Kolonialzeit prägen das Stadtbild. In den prachtvollen Häusern residierten einst die Kaffeebarone. Erst in den 50er Jahren entdeckten Künstler und vor allem auch Hippies das Domizil. Wir genießen den Bohemian Touch und das quirlige, bunte Treiben und flanieren durch die Straßen mit den zahlreichen Ateliers, kleinen Museen, Bars und idyllischen Cafés, in denen brasilianischer Bohnenkaffee serviert wird. Einige Kaffeehäuser sind schon sehr alt, zum Beispiel die aus dem Jahr 1894 stammende Confeitaria Colombo. Simon hat eine Zeit lang dort gewohnt, sucht dort wieder eine Wohnung und eröffnet demnächst seine eigene Bar. Er kennt Gott und die Welt und wird entsprechend oft begrüßt. Besonders interessant wird es, als wir bei einem Künstler, den Simon ebenfalls gut kennt, Halt machen. Während die beiden reden, dürfen wir die Ausstellungsstücke anschauen und fotografieren. Was es da nicht alles gibt! Phantastisch. Wir können uns kaum losreißen.
Während der Fahrt zum 362 Meter hohen Aussichtspunkt Mirante Dona Marta im Tijuca-Nationalpark erzählt uns Simon sehr viel von und über „seine“ Stadt. Er lebt seit fünf Jahren in Rio und ist mit einer Brasilianerin verheiratet. Sie hat zwanzig Jahre in Deutschland gelebt und jetzt versuchen sie hier ihr Glück.
Die Straße hoch zum Aussichtspunkt steht Bus an Bus, kilometerlang. Uns wird ganz anders. Frank meinte doch, es sei noch ein Geheimtipp. Danach sieht es aber nicht aus. Simon beruhigt uns und meint, das seien die Busse der Touris, die bei der Christus-Statue sind, zwängt sich vorbei und einen Kilometer weiter haben wir mehr als genug Parkplätze. Von dort machen wir uns auf den Weg zum Aussichtspunkt. Hier bietet sich uns uns ein grandioser Panoramablick auf den Corcovado mit der Christus-Statue, das Maracanã-Stadion, die Guanabara-Bucht, den Zuckerhut, Botafogo und das Häusermeer von Rio. Direkt unter uns ist die Favela, in der Michael Jackson „What about us“ gedreht hat. Die Filmaufnahmen sollten eigentlich von Seiten der Politik verhindert werden, dies gelang aber nicht und ein späterer Abriss kam durch die Berühmtheit der Favela durch das Video nicht mehr in Frage.
Kaum zu glauben, aber diese grandiose Aussicht gibt es sogar kostenlos. So spektakulär haben wir es uns gar nicht vorgestellt. Und als kleines Zuckerl obendrauf setzt ein Passagierflugzeug zur Landung an. Weil der Wind stark ist, fliegt es schnurgerade auf den Zuckerhut zu. Atemberaubend. Simon meint, das wäre der schwierigste Anflug auf Rios Flughafen und wird nur noch gemacht, wenn es anders nicht möglich ist. Wir beneiden die Fluggäste um diese unvergessliche Landung.
Da wir keine Favela besuchen möchten – wir finden es pervers, die Armut der Cariocas (Einwohner Brasiliens) zu „besuchen“, führt uns unser Ausflug weiter in den Regenwald Rios. Als wir Simon darauf ansprechen, meint dieser, viele Bewohner der Favelas würden das anders sehen. Sie freuen sich über Besucher und die damit verbundenen Devisen und möchten der Welt, z.B. über Facebook & Co. zeigen, wie das tägliche Leben tatsächlich aussieht. Zu spät, vielleicht beim nächsten Mal.
Unsere Fahrt im Tijuca-Nationalpark geht weiter. Dieser wurde 1861 wieder aufgeforstet, nachdem große Teile des Baumbestandes durch die Kaffeeplantagen zerstört wurden. Der brasilianische Kaiser Dom Pedro II legte den Grundstein und ließ neben der Renaturierung ein Wegenetz und Aussichtsplätze anlegen. 100 Jahre später wurde das Gebiet zu einem Nationalpark erhoben. Mehrere Straßen und Wanderwege führen durch den Wald zu Aussichtspunkten, Höhlen und Wasserfällen. An einem der Wasserfälle machen wir einen kurzen Foto-Stopp. Simon fährt dafür einen Umweg und schon die Fahrt dorthin ist sehenswert. Der Nationalpark ist Naturschutzgebiet und wird tatsächlich streng bewacht. Immer wieder kommen wir an Kontrollen vorbei und die Straße ist mit Bodenwellen geradezu gepflastert.
Weiter geht es nach Boa Vista. Dort wartet ein Boot auf uns, mit dem wir in die Mangrovenlagune fahren können. Wir denken, es ist sicher ein Boot für mehr Leute, aber nein, es ist nur für uns drei, dazu noch recht groß mit einem bequemen Einstieg und wir können während der Fahrt nach Lust und Laune aufstehen. Wir staunen: zuerst über die vielen Wasservögel und dann über die vielen Kaimane. Unglaublich. Im Gebüsch entdeckt unser Bootsführer ein Wasserschwein und fährt ganz nahe ans Ufer, damit wir besser sehen können. Später entdecken wir noch eins, und wieder Kaimane. Ist das schön hier!
Die Zeit ist viel zu schnell vorbei und wir müssen uns auf den Rückweg machen. Dieser führt uns entlang der schönen Küste mit den Stränden Barra, Sao Conrado und Ipanema. An einem Strandabschnitt unterhalb mehrerer höherer Berge legen wir einen letzten Halt ein. Bei einem frisch gepressten Maracuja-Saft warten wir darauf, dass sich waghalsige Drachenflieger vom Gipfel stürzen. Leider ist wohl heute kein gutes Flugwetter. Schön ist es trotzdem.
Bei unserem letzten Besuch haben wir durch einen unangekündigten Streik in Rio mit knapper Not unser Schiff erreicht. Deshalb wollen wir heute rechtzeitig zurück und haben einen Zeitpuffer von zwei Stunden eingeplant. Der Verkehr auf dem Rückweg ist mörderisch und wir haben schon die schlimmsten Befürchtungen, obwohl mehr als genug Zeit ist. Doch unser Vorsprung schmilzt zusammen. Simon versichert uns, dass wir mehr als im Zeitplan liegen und so ist es auch, trotz der vielen Staus und roten Ampeln. Pünktlich setzt er uns am Hafeneingang an. Es war ein hervorragend organisierter, erlebnisreicher Tag und wir verabschieden uns überglücklich von Simon. Er schickt mir noch eine Facebook-Freundschaftsanfrage, wäre schön, mit diesem außergewöhnlichen Menschen in Verbindung bleiben zu können.
Nach einem kurzen Abstecher auf die Kabine versorgen wir uns mit einem Cocktail und schauen dem Auslaufen zu. Wer weiß, wir hoffen darauf: Até à vista, Rio!
Es ist jetzt 18.30 Uhr und wir haben noch immer keine Infos über die Abholzeiten morgen und auch noch keine Gepäckbänder. An der Rezeption heißt es, es werde gerade vorbereitet. Die Organisation auf der MSC lässt an allen Ecken und Enden zu wünschen übrig. Wir wüssten nun schon gerne, wann wir morgen abgeholt werden.
Ein letztes Mal machen wir uns auf den Weg zum Abendessen ins Golden Sand Restaurant und freuen uns schon auf unsere gegenseitigen Erzählungen.
Kaum zu glauben – drei Wochen sind wieder einmal wie im Flug vergangen und morgen heißt es Abschied nehmen von unserem schwimmenden Zuhause. Es war eine wunderschöne, erlebnisreiche Reise, von der wir noch lange zehren werden.